Wenn der Roboter zweimal klingelt: Arbeiten 4.0 im Mittelstand

Die digitale Transformation polarisiert – vor allem mit Blick auf die Arbeitswelt. Warum das Arbeiten 4.0 trotz aller Risiken eine Chance ist.

In ihrem Vorwort zum Weißbuch Arbeiten 4.0 wirft Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, einen der zentralen Streitpunkte rund um die Arbeit der Zukunft auf: Nehmen uns die Maschinen die Arbeit weg, oder machen sie Innovationen und Produktivitätsgewinne möglich, die neue Arbeitsplätze schaffen?

Meiner Meinung nach liegt die Wahrheit wie so oft in der Mitte – aber Fakt ist: Die digitale Transformation und die damit verbundene Veränderung der Arbeitswelt lassen sich nicht aufhalten. An dieser Stelle möchte ich auf ein Zitat aus der brand eins verweisen, das meine Kollegin Gabi Rabl bereits Anfang 2015 verwendet hat:

„Doch am Roboter scheiden sich die Geister. Er gilt als Jobkiller oder Wirtschaftsmotor, Sklave oder Spielgefährte, Intelligenzbestie oder gefühllose Maschine. Er polarisiert, verunsichert, wird herbeigesehnt oder gefürchtet. Eines aber ist sicher: Er kommt auf uns zu. Unaufhaltsam.“

Steigende Anforderungen an die Qualifikation

Das bestätigt ein Blick in den deutschen Mittelstand. So hat die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC im Januar in einer Potenzialanalyse erhoben, dass die Digitalisierung für 90 Prozent aller Befragten der zentrale Trend 2017 ist. Neben einer Digitalisierung der Produkte und dem vermehrten Einsatz digitaler Technologien stehen dabei vor allem die Mitarbeiter im Fokus: 50 Prozent planen, sie intensiv weiterzubilden und 44 Prozent gaben an, bei neuen Mitarbeitern zukünftig verstärkt auf digitale Fähigkeiten zu achten.

Digitale Technologien und der Einsatz künstlicher Intelligenz werden ohne Frage dafür sorgen, dass repetitive Tätigkeiten wegfallen und die Komplexität steigt. Im Umkehrschluss wird nicht selten ein wachsender Bedarf an hochqualifizierten Arbeitnehmern vorausgesagt. Ein Ergebnis, zu dem auch die Arbeitsmarktprognose 2030 des Forschungsunternehmens Economix kommt: Sie prognostiziert einen deutlichen Anstieg hochqualifizierter Arbeitskräfte, einen leichten Rückgang im mittleren Qualifikationsbereich und einen starken Rückgang bei den gering qualifizierten Arbeitnehmern. Im Ansatz sicher eine richtige Annahme, die aus meiner Sicht allerdings einer weiteren Konkretisierung bedarf. Hier möchte ich mich auf den Philosophen, Publizisten und Autor Richard David Precht beziehen, der mit Recht darauf verweist, dass auch hochqualifizierte Arbeitnehmer im Zuge der Digitalisierung teilweise obsolet werden: So macht die digitale Konkurrenz z.B. Anwälten oder Steuerberatern zunehmend zu schaffen.

Neue Berufsbilder aktiv gestalten

Arbeiten 4.0 verschiebt das Verhältnis zwischen Mensch, Maschine und Organisation unweigerlich, und dass damit Zukunftsängste verbunden sind, ist logisch. Persönlich plädiere ich aber für eine differenzierte Betrachtung: Der digitale Wandel ist ein zeitintensiver Prozess, der an bestehende Verhältnisse, Normen und Werte anknüpft – d.h. er kann aktiv mitgestaltet werden. In diesem Kontext hat der Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem „Zukunftsreport 2017“ eine interessante These aufgestellt: „Roboter und smarte Maschinen haben die menschliche Arbeitskraft bisher noch nie ersetzt und werden es auch künftig nicht tun. Die Arbeit des Menschen wird sich aber stärker auf das verlagern, was nur Menschen können: Komplexität bewältigen und Gefühle nutzen.“

„Über 60 Prozent der künftigen Berufe gibt es heute noch nicht.“ (Richard David Precht)

Anstatt einer Technikzentrierung, bei der der Mensch auf nicht-automatisierbare Tätigkeiten reduziert wird, liegt dem Ansatz von Horx eine menschenzentrierte Komplementarität zugrunde: der Arbeitnehmer bleibt gestaltende Autorität – smarte Tools werten sein Handeln auf. Grundvoraussetzung ist allerdings, dass digitale Kompetenzen zukünftig flächendeckend an den Schulen und Hochschulen vermittelt werden. Zudem muss das „lebenslange Lernen“ zwingend in der Realität ankommen.

Arbeiten 4.0 erfordert eine Neuorganisation

Neben den Tätigkeiten wird die Digitalisierung die Organisation des Arbeitens grundlegend verändern. Neue Technologien ermöglichen dem Mitarbeiter, räumlich und zeitlich flexibel zu agieren. Diese Entwicklung wird allerdings nicht nur positiv bewertet. So mahnt DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, dass die Digitalisierung nicht im Selbstlauf zu Entlastungen führt. Im Gegenteil würden durch die Entgrenzung der Arbeitszeiten, die permanente Erreichbarkeit und die Arbeitsverdichtung höhere Belastungen entstehen. Hier gilt es sowohl auf Seiten der Politik als auch auf Unternehmensseite, Antworten und verbindliche Regelungen zu finden. Andernfalls wäre das Resultat eine theoretische Arbeitszeit von 24 Stunden.

Konzepte, um die voranschreitende Digitalisierung und immer kürzere Produktlebenszyklen flexibel abzufedern, testet aktuell z.B. TRUMPF. Das Hochtechnologieunternehmen hat die Jahresarbeitszeit eingeführt – ein Gleitzeitkonto mit einem Korridor zwischen plus 200 bis minus 100 Stunden. Die Idee dahinter: Die Mitarbeiter arbeiten dann viel, wenn die Auftragslage gut ist, und profitieren im Gegenzug von längeren Auszeiten, wenn es weniger zu tun gibt. Die Teilnahme an diesem agilen Zeitsystem ist freiwillig.

Ein weiteres Unternehmen, das neue Wege beschreitet, ist die Cisco Systems GmbH: Hier setzt man auf eine freie Einteilung von Arbeitszeit und -ort und arbeitet verstärkt über Kollaborationsplattformen und mit dynamischen Projektteams. Ein Konzept der Zukunft, das aber auch Herausforderungen beinhaltet. Neben der bereits angeschnittenen Vermischung von Privat- und Arbeitsleben lautet das Stichwort „neue Erwerbs- und Arbeitsformen“. Im Zuge der Informatisierung, Tertiarisierung und Dezentralisierung etablieren sich zunehmend Soloselbstständige, die sich als autonome Wissensdienstleister verstehen. Eine Entwicklung, die durchaus in Konflikt mit dem zum 1. April 2017 in Kraft tretenden reformierten Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) steht, und die deshalb einer Diskussion bedarf.

Risiko und Chance

Den Arbeitsmarkt der Zukunft prognostizieren zu wollen, gleicht einem Blick in die Glaskugel. Unstrittig ist, dass es fundamentale Veränderungen geben wird. Nehmen uns die Maschinen die Arbeit weg? Ja. Ich denke hier an repetitive Tätigkeiten, aber auch an Bereiche, in denen Maschinen mittels Big Data und künstlicher Intelligenz selbstständig Entscheidungen treffen können. Aber wie so oft, liegt im Risiko auch eine Chance: So bleibt z.B. mehr Zeit, um neue Geschäftsfelder und Innovationen zu entwickeln.

Um die digitale Transformation erfolgreich zu meistern, ist es jedoch zwingend notwendig, den Menschen die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust zu nehmen und mit konkreten Beispielen die Chancen zu skizzieren – das erfordert eine gezielte Aufklärungsarbeit. Nur so kann die Basis für eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung geschaffen werden. Gleichzeitig ist die Politik gefordert, die entsprechenden Rahmenbedingungen bereitzustellen: Das gilt sowohl für das Bildungswesen als auch mit Blick auf die technischen Infrastrukturen. Und auch die Wirtschaft muss ihren Beitrag leisten, das umfasst Investitionen in Ausbildung, Weiterbildung und Infrastruktur.

Unter dem Strich steht +/- Null

Abschließen möchte ich mit einem positiven Ausblick auf den Arbeitsmarkt: Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) vom November 2016 wird es bis zum Jahr 2025 zwar Beschäftigungsverluste in Höhe von rund 1,5 Millionen Jobs geben – denen stehen jedoch Beschäftigungsgewinne in nahezu der gleichen Höhe gegenüber. Eine Prognose, die sich mit den oben zitierten Einschätzungen von Matthias Horx und Richard David Precht deckt.

Bildquelle: Shutterstock

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