Fußball goes digital – selling, coaching, analyzing

Die Digitalisierung macht auch vor dem Sport nicht halt. Chancen ergeben sich dabei nicht nur für den Spitzensport. Der ehemalige Profifußballer Kevin Wittke gibt Einblicke hinter die Kulissen.

Auch im Sport hält der technische Fortschritt Einzug. Besonders deutlich wird das an einer der bedeutendsten Neuerungen im Fußball seit Jahrzehnten: Zur Saison 2017/18 wurde in der Bundesliga der Videobeweis offiziell eingeführt. Bereits Anfang des Jahres hat Microsoft Deutschland zudem das Ziel ausgegeben, die Bundesliga zu digitalisieren: Man wirbt mit einer Cloud-Plattform, um gesammelte Daten zukünftig strategisch zu analysieren. Das ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Auch kleineren Vereinen eröffnet die Digitalisierung neue Möglichkeiten der Präsentation und Vermarktung.

Welche das sind, darüber habe ich mit meinem Kollegen Kevin Wittke gesprochen: Er ist studierter Sportmanager, Fußballer beim Bayernligisten Viktoria Aschaffenburg und bei PASS in der Business Unit Sports für Digitalisierungsprojekte zuständig.

Du bist 13 Jahre als Profifußballer aktiv gewesen – wie hat die Digitalisierung den Sport verändert?

Die Digitalisierung beeinflusst den Fußball in vielfältiger Hinsicht. Fans und Spieler profitieren gleichermaßen davon. Vereinsmitarbeiter, wie beispielsweise Trainer und Scouts, haben durch die Digitalisierung neue und tiefergehende Möglichkeiten Daten zu erheben und zu analysieren. Das spiegelt sich in der Leistungsentwicklung junger Fußballer wider, die dadurch in den letzten Jahren eine enorm hohe Ausbildungsqualität genossen haben. Auf der anderen Seite bekommt der Fan durch digitale Medien immer mehr und schneller Informationen, wodurch die Identifikation mit dem Verein gefördert wird. Stars sind mittlerweile gläsern. In der Vergangenheit war der beste Spieler eines Teams derjenige, der die Tore gemacht hat. Heute kann der Fan anhand unzähliger Live-Statistiken selbst entscheiden, ob diese These zutreffend ist oder der beste Spieler doch derjenige ist, der eine positive Passquote von 97 Prozent aufweist.

Ein Kernthema bei der Digitalisierung von Vereinen stellt die Professionalisierung dar. Vereinsstrukturen sind mittlerweile vielfältig und komplex, sodass ein professionelles Arbeiten nur durch Vereinfachung gewährleistet werden kann. Spitzenvereine stehen zudem noch unter dem Druck, neue Märkte zu erschließen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Hierzu werden immer häufiger Internationalisierungs- und Digitalisierungsprojekte genutzt. Der klassische Fußballverein wird immer mehr zu einem Fußballunternehmen.

Du hast mit Deinem Team den Digitalisierungsgrad verschiedenster Vereine in diversen Ligen analysiert. Wie schätzt Du den aktuellen Stand ein?

Was das Thema Entertainment und Zuschauererlebnis angeht, sind Bundesligavereine auf einem guten Weg, wenn auch keine First Mover. Vereine fokussieren sich bei ihren gesamten Aktivitäten gerne ausschließlich auf den Sportbereich und ziehen erst nach, wenn andere mit ihren Ideen erfolgreich sind.

Deshalb ist schon ab der 2. Bundesliga der innovative und digitalisierte Fanservice abnehmend. Wenngleich das Angebot insgesamt Stück für Stück zunimmt, sind Qualität und Innovation oft eher mittelmäßig umgesetzt. In den Ligen 3 und 4 kämpfen viele Mannschaften um ihre Existenz, sodass hier kaum finanzielle Spielräume für solche Themen vorhanden sind. Nichtsdestotrotz spielt die Digitalisierung auch hier eine immer größere Rolle und die Möglichkeiten werden so gut wie möglich ausgeschöpft.

Viel offener sind Vereine, wenn die sportliche Leistung der Spieler im Mittelpunkt der Digitalisierung steht. Hervorgerufen durch neue Trainergenerationen wie Tuchel, Nagelsmann und Co. finden immer mehr digitalisierte und teils auch innovative Technologien ihren Platz in den Trainingszentren der Vereine. Neben der immer schnelleren und effektiveren Datenerhebung und Analyse spielt hier die Ausbildung von kognitiven und mentalen Fähigkeiten eine immer größere Rolle. Das eine oder andere Start-up versucht sich hier auf dem Markt zu positionieren, sodass man punktuell sogar Technologien in der 4. und 5. Liga widerfindet.

Ein anderes Thema, welches an vielen Vereinen allerdings vorübergeht, ist die Professionalisierung und Optimierung der Backoffice-Prozesse. Stichwort CRM- und ERP-Systeme. Manuelle und händische Prozesse müssen durch clevere Systeme abgelöst werden, um den heutigen Anforderungen des Fußballgeschäftes gerecht zu werden. Hier haben nur vereinzelte Vereine die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Strukturen und Prozesse optimiert. Die restlichen Vereine stehen eher in Wartestellung und knüpfen die Einführung digitaler Innovationen an sportliche Erfolge.

Warum ist es auch für kleinere Vereine wichtig, sich digital aufzustellen und wo siehst Du zentrale Ansatzpunkte?

Gerade kleinere Vereine sollten die Chancen der Digitalisierung nutzen, da hier das Ehrenamt die bedeutendste Rolle spielt und somit Zeit- und Personalressourcen nicht in dem Ausmaß vorhanden sind, um ein reibungsloses Vereinsleben zu realisieren. Zudem wachsen die Anforderungen der Regionalverbände an die Vereine auch in den unteren Ligen jährlich. Immer wieder ist zu beobachten, dass sportlich erfolgreiche Vereine ihr Aufstiegsrecht für die nächsthöhere Liga nicht nutzen wollen.

Durch die Optimierung der Vereinsprozesse, der Kommunikation und des Personaleinsatzes kann die Digitalisierung deutliche Fortschritte eines Vereins bewirken. Das ohnehin schon rare Personal kann somit z.B. mehr Zeit aufwenden, um sich mit Finanzierungsquellen auseinanderzusetzen.

Viele Vereine veranstalten mittlerweile neben ihrem Spieltag Events oder verkaufen Merchandising-Artikel, um ihre klammen Kassen zu füllen. Online-Shops sind bis in die Kreisliga vorgedrungen. Die Digitalisierung hilft dem Verein, sich und seine Aktivitäten zu präsentieren und einer breiteren Masse zugänglich zu machen. Gerade erst hat eine Online-Videoplattform einen Vertrag mit dem DFB bis 2021 abgeschlossen, um dem Amateurfußball mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Nach Sport1 und Fußball.de eine weitere Plattform für kleine Vereine, um in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Kleinere Vereine werden somit interessant für Sponsoren und können bei Anwendung einer cleveren Strategie finanzielle Stabilität erlangen.

Die Viktoria Aschaffenburg hat pünktlich zur neuen Saison einen Online-Ticketshop gelauncht – wie nehmen die Fans das neue Angebot an?

Im Zuge der Projektrealisierung gab es durchweg positive Reaktionen von Seiten der Fans. Durch die Anwendung des Minimum-Viable-Product-Verfahrens konnten einige Fans bereits im Vorfeld an Testläufen teilnehmen und aktiv einen Beitrag zur Produktentwicklung leisten. Dennoch konnten auch Berührungsängste wahrgenommen werden. Als Vorzeigebeispiel gilt hier das Freundschaftsspiel gegen Darmstadt 98. Nach Bekanntwerden des Spiels wurden innerhalb kürzester Zeit viele Tickets über den Online-Shop an Gästefans verkauft. Die Fans der Lilien sind es schon gewohnt, die Ticketbestellung auf digitaler Ebene vorzunehmen. Dieser Prozess wird aber auch bei den Zuschauern der Viktoria auf lange Sicht als Standard empfunden werden.

Welche speziellen Herausforderungen gilt es zu überwinden, wenn ein IT-Projekt bei einem Verein durchgeführt wird?

Das Wichtigste ist, ein Gesamtverständnis für Digitalisierung zu vermitteln. Viele Menschen assoziieren die Digitalisierung in erster Linie mit Marketingmedien wie Homepage und Social Media. Diese sind genauso wichtig wie Online-Shops und Apps, aber nur ein kleiner Teil. Ein ebenso bekannter Aspekt ist, wie oben schon beschrieben, die Digitalisierung als Hilfsmittel zur Aus- und Weiterbildung von Spielerqualitäten. Der aus meiner Sicht wichtigste, aber oft verkannte Teil betrifft jedoch Vereinsprozesse, die tagtäglich durchlaufen werden, nicht selten noch manuell. Da viele Vereine Tradition mit sich bringen und über 100 Jahre bestehen, wuchsen Backoffice-Prozesse unstrukturiert und haben sich so im Verein etabliert. Prozessabbildungen, Organigramme und Co. können nur wenige Vereine vorweisen.

Hier verbirgt sich in allen Fußballligen noch großes Potenzial. Durch die Digitalisierung der Geschäftsprozesse können Ressourcen effizienter eingesetzt und allokiert werden. Im Vordergrund eines jeden Sportvereins steht die sportliche Entwicklung. Die Basis für einen nachhaltigen Erfolg liegt jedoch im Vereinsmanagement und der Vereinsführung. Spieler, Trainer und Mitarbeiter müssen bezahlt und der Nachwuchs ausgebildet werden. Zudem müssen effektive Kommunikations- und Infrastrukturwege vorhanden sein, um Strategien und Ziele umsetzen zu können. Die Herausforderung besteht darin, den Überblick zu behalten und trotzdem die Weiterentwicklung des Vereins nicht zu verpassen. Diese Mammutaufgabe wird durch die Digitalisierung vereinfacht.

Wie sehen die weiteren digitalen Planungen der Viktoria Aschaffenburg aus?

Neben der stetigen funktionellen Erweiterung des Online-Shops werden wir mittelfristig für Sponsoren, Partner und Mitglieder und die, die es werden wollen, verschiedene Mehrwerte generieren. Langfristig soll aus dem Online-Shop ein ganz besonderes Shopping-Mall-Erlebnis werden. Damit dies reibungslos funktioniert und die Vereinsarbeit nicht zusätzlich belastet wird, werden die heutigen zum Großteil manuellen Vereinsprozesse überprüft und automatisiert bzw. digitalisiert. Dies wird durch die Einführung eines auf die Viktoria zugeschnittenes ERP- und CRM-System realisiert.

Des Weiteren werden in Zusammenarbeit mit dem Verein und verschiedenen Partnern digitale und innovative Lösungen erarbeitet, um Trainern und Spielern Daten zur Verfügung zu stellen, die bei der sportlichen Ausbildung und Weiterentwicklung helfen sollen.

Kevin Wittke kam 2015 nach 13 Jahren Profifußball zu PASS und verbindet hier Leistungssport und zukünftige Karriere. Sein Diplom als Sportmanager hat er per Fernstudium parallel zur Profilaufbahn erworben. Praktische Erfahrungen konnte er in mehreren Praktika sammeln. Bei PASS baut er verantwortlich die neue Business Unit Sports auf. Diese wird drei Leistungsbereiche bedienen: Turnaround Management, Administrationsoptimierung und Digitalisierung. Die ersten Digitalisierungsprojekte im Sport – Timo Boll Webcoach und Viktoria Shop- und Ticketsystem – waren erfolgreich.

Bildquelle: Shutterstock

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